Samstag, 30. Januar 2010

Out in the cold: Neues aus Braunschhweig

„Wo Berge sind, kann der Norden nicht sein“, behauptet meine Arbeitskollegin aus Bremen. Demnach gehört Braunschweig also nicht zu Norddeutschland. Nun, wenn man wie ich aus Karlsruhe kommt, als Südstaatler sozusagen, kann man darauf nur antworten: „Wenn Flensburg aus süddeutscher Sicht dem Nordpol entspricht, dann ist Braunschweig Grönland; zumindest in Sachen Witterung.“ Bei 8,8° liegt hier die Temperatur im Jahresmittel. In meiner Geburtsstadt sind es an die 2° mehr. Wärmer ist es fast nur in Freiburg - und wenn Frankreich nicht wär´, läge das bekanntlich am Meer; und zwar am Mittelländischen, Jawohl. Bei den Sonnentagen sieht es hier übrigens auch nicht viel besser aus.
Vielleicht ist der Januar für die klimatische Urteilsbildung aber auch ungeeignet. Wenigstens hoffe ich das. Jedoch, die Hoffnung schwindet. „Im September“, sagte mir neulich jemand, als ich zaghaft fragte, wann im Braunschweiger Land denn so in der Regel der Frühling komme.
Doch alles Lamentieren hilft ja nicht. „Komm Junge, wo bleibt dein olympischer Geist,“ feuere ich mich selbst an. Eine andere Kollegin aus Hannover überwindet mal eben uralte Stammesgrenzen und durchläuft endlose archaische Rituale, um sich vom bösen 96er „Juju“, wie Afrikaner schlechtes Karma nennen , zu befreien – bei denne isch des wie zwische uns un de Schwobesäckel. Eine andere Kollegin wechselt vom katholischen Paderborn ins protestantische Braunschweig gar in andere geistig-religiöse Sphären. Da werde ich doch den Übergang in eine neue Klimazone überleben. „Wer sich nicht anpasst, stirbt aus,“ weiß ich von Darwin. Im Fachgeschäft habe ich mir mehrere Pullis aus Fleecestoff gekauft und, zur Sicherheit, im Internet eine 1 zu 1 Reproduktion eines U-Boot-Mantels aus dem Zweiten Weltkrieg bestellt. Laut Hersteller für die Schlechtwetterzonen im Atlantik und in der Biscaya konzipiert - der Krieg wurde bekanntlich verloren, aber die Jacke ist warm. Da kann der Norden von mir aus sein, wo er und die Bremer das wollen. So oder so ist das Ansichtssache. Und der Frühling? Der wird sich finden – früher oder später.

Samstag, 16. Januar 2010

Braunschweig: erste Eindrücke aus meiner neuen Heimat

Einigen ist sicher aufgefallen, dass ich den Blog in letzter zeit nicht mehr in der gewohnten Regelmäßigkeit aktualisiert habe. Das liegt daran, dass es mich beruflich nach Braunschweig verschlagen hat. Die thematischen Schwerpunkte werden sich also zwangsläufig verschieben, worüber ich mir noch einige Gedanken machen werde. Immerhin gibt es ja einige Anknüpfungdpunkte, zum Beispiel bei der Eintracht, wo ja Ex-KSCler Marc Arnold als Sportlicher Leiter in Amt und Würden ist. Ich hoffe bald Neues vermelden zu können. Bis dahin ein paar Eindrücke aus meiner neuen Heimat:

Der zweite Weltkrieg hat nicht nur das Stadtbild von Braunschweig zerrissen – über 90 Prozent der Innenstadt wurden zerstört -, sondern auch tiefe und nur oberflächlich verheilte Wunden in die Herzen der Menschen geschlagen, die ihn miterlebt haben. Wer mit Eckhard Schimpf einen Spaziergang durch die Altstadt macht, merkt das schnell. Eckhard Schimpf ist hier nicht nur geboren und Aufgewachsen, auch fast sein ganzes Berufsleben hat er dieser Stadt gewidmet: Fünfzig Jahre bei der Braunschweiger Zeitung, dazu ein Buch über den Klinter Klater genannten Lokal-Dialekt geschrieben; das ist doch was. Doch nur wenige Anekdoten aus fünfzig Journalistenjahren flicht der graumelierte Herr in seine Erzählungen, nur oberflächlich durcheilt er die tausendjährige Geschichte seiner Heimatstadt.
Der Krieg ist das beherrschende Thema. Dabei fielen nur Schimpfs frühe Jugend in die Jahre des Krieges – und sind fünf Kriegsjahre nicht ein Wimpernschlag gegen die 38 Herrscherjahre Heinrichs des Löwen? Doch wenn nach der Chaostheorie der Schlag eines Schmetterlingsflügels Wirbelstürme auslösen kann, was vermag dann ein Wimpernschlag anzurichten?
„Wir Kriegskinder haben alle einen Knacks,“ sagt Eckhard Schimpf lakonisch und deutet auf einen Glas verkleideten Neubau in der Schuhstraße. „Hier stand ein großer Bunker. In der berühmten ‚Feuernacht’ 1944 waren hier tausend Menschen zusammengepfercht – zugelassen war lediglich die Hälfte.“ Mit Spreng- und Brandbomben entfachte die britische Royal Airforce in jener Nacht einen Feuersturm, der die Türme der St.Martini-Kirche zum Glühen brachte.
Die vielen Brände verbrauchten derartig viel Sauerstoff, dass den Menschen im Bunker inmitten des Infernos die Luft auszugehen drohte. Unter ihnen Eckhard Schimpf: „Normalerweise warfen die ihre Bomben und nach zwanzig Minuten konnte man wieder Nachhause, aber in dieser nacht blieben die Stahltüren zu.“ Stunde um Stunde verging, das Atmen viel schwerer und schwerer, Menschen sanken ohnmächtig zusammen, Kinder weinten.
Was niemand wusste: Draußen versuchten Helfer eine Schneise durch die Flammen zu schlagen. Einen ganzen Straßenzug beschossen die Feuerwehrleute mit ihren Spritzen, um den Leuten im Bunker einen Fluchtweg zu eröffnen. „Nach vier Stunden konnten wir dann endlich raus,“ erzählt Schimpf. „Vor der Tür Standen Fässer mit Wasser. Wir mussten uns mit nassen Lappen umwickeln und dann sind wir wie durch einen Säulengang unter den Wasserstrahlen der Feuerwehr abgezogen. Und nur wegen dieses enormen Einsatzes stehen hier noch einige historische Gebäude.“
Nun geht es weiter zum Altstadtmarkt. Hier verbreitet das alte Ratsgebäude fast einen Hauch von Florenz und aus dem alten Gewandhaus könnten jeden Augenblick ein paar ehrbare Kaufleute in historisch bunter Tracht treten. „Ach ja, die Spitze von diesem Brunnen hier ist in jener Nacht damals abgeschmolzen,“ sagt Schimpf. An den Auswirkungen des Flügelschlags eines Schmetterlings kann man vielleicht noch zweifeln, was ein Wimpernschlag anrichten kann, ist in Braunschweig offenbar.